1979: wahlkampfrede 2, oberösterreichische nachrichten

Early Conflicts. Beispiel: performative Wahlkampfrede, Mai 1979. Zuerst von einem Bezirksamt in Wien, dann von einem Bürgermeisteramt in Linz verhindert, schließlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit als Videoperformance in den Sanitärräumen der Galerie "MAERZ" realisiert.
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Peter Moseneder:
Reizwort Wahlkampf


Österreich braucht ihn, den eh schon wissen, und Österreich braucht, besonders bei der derzeitigen Wetterlage, auch einen neuen Frühling. Das sind hierzulande, da ja bekanntlich Wahlzeiten eingekehrt sind, grundsätzliche Ausgangspositionen für einen demokratischen Kräftevergleichskampf, wie anscheinend auch die einzigen Voraussetzungen dafür, daß auch in den nächsten vier Jahren unser Staatswerkel läuft.

Was Österreich nach Überzeugung einiger demokratiebewußter Beamter nicht braucht, was bisher sowohl in Wien wie nun auch in Linz als nahezu staatsgefährdende Agitation eingestuft wurde, ist eine öffentliche Lesung des Wiener Literaten Christian Ide Hintze mit dem Titel "Wahlkampfrede eines Literaten". Weniger am Text, mit dem Hintze Überlegungen festgehalten hat, warum er am 6. Mai auf sein Wahlrecht verzichtet, stießen sich vom Wahlkampfbazillus erfaßte Beamtengemüter, sondern am Wörtchen "Wahlkampfrede". Eine Magistratsabteilung in Wien verbot kurzerhand die Lesung, in Linz liegt der Fall ähnlich, wenn auch diffiziler.

Die Vorgeschichte: Die Künstlervereinigung "MAERZ" wird vom 8. bis 31. Mai in Linz ein "internationales performance festival" mit verschiedenen Aktivitäten veranstalten und suchte daher bei der Kulturabteilung des Magistrats um eine Subvention in Höhe von 20.000 Schilling an. Hintze wiederum, auf Einladung des "Aktuellen Forums", einer Veranstaltungsreihe an der Kunsthochschule, hätte am Mittwoch vor Studenten in Linz gelesen. Nach Absprachen mit "MAERZ" und "Aktuellem Forum" wurde beschlossen, die Lesung am Taubenmarkt durchzuführen, als Veranstalter trat nun die "maerz-werkstatt" auf.

Von nun an ging's, durch die Verkettung mehrerer Umstände, bergab. Mit Schrecken entnahm der Leiter des Kulturamts, Wilhelm Rausch, aus der Ankündigung der Lesung im Linzer VP-Parteiorgan, daß es sich dabei um eine "Wahlkampfrede" handle. Was ihn sofort handeln ließ: Er rief den "MAERZ"-Präsidenten Fritz Riedl an und erklärte diesem, daß er es nicht für vertretbar halte, daß nihilistische Wahlkampfreden, bei denen zum Nichtwählen aufgefordert werde, aus dem Stadtsäckel unterstützt werden. Riedl, besorgt um die Subvention von 20.000 Schilling, mit der das von dieser Lesung an und für sich unabhängige "Performance-Festival" steht und fällt, legte daraufhin dem Leiter der "maerz-werkstatt", Wilhelm Schwind, die Absage der Veranstaltung nahe.

So geschah's denn auch, um die hohe Obrigkeit nicht vor den wahlkampffiebrigen Kopf zu stoßen. Bedenklich dabei, daß dieses Fieber offensichtlich die Grenze zum Delirium überschritten hat, da das Reizwort "Wahlkampfrede" die Obrigkeit dazu veranlaßte, den Mund zu einem sehr subtilen "Kusch" zu öffnen.

Ein unnötiges "Kusch", weil die beantragten Subventionen zur Finanzierung dieser Lesung gar nicht herangezogen worden wären, ein peinliches "Kusch", weil nun als Begründung ins Treffen geführt wird, daß durch derart "nihilistische Aufrufe zur Wahlverweigerung" womöglich die Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert werden könnte. Was bisher, meines Wissens nach, noch mit keiner Lesung geschafft wurde. Wohl aber damit, daß Grenzen in der Machtausübung überdehnt wurden.


(Peter Moseneder in: Oberösterreichische Nachrichten. Linz, 4. Mai 1979)