2002 Eisendle: Hintze Revolutionäre

Christian Ide Hintze: Autoren als Revolutionäre.
Dialoge über das Ende der Schriftkultur und die Polis der Poeten. 304 Seiten.
edition selene. Wien 2002. ISBN 3-85266-176-5
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Helmut Eisendle:
Revolution und Revolte  


Der Begriff Revolution ist nur als politischer zu verstehen, wobei – wenn nicht - sich sofort die Frage nach dem Unpolitischen innerhalb literarischen Schaffens stellt. Gibt es nicht. Gut. Der Unterschied zwischen Revolution und Revolte ist deswegen wichtig, weil letzterer sich als Empörung oder Auflehnung versteht, ersterer entweder als Sternenkonstellation, gewaltsamer Umsturz der bestehenden Staatsform oder jene meint, die für eine fortschrittliche Gesellschaftsordnung kämpfen.
In der deutschen Literatur gibt es einige Beispiele für Revolutionäre: Kleist, Büchner, Landauer, P. Weiss, von mir aus Jura Soyfer, in der fremdsprachigen Literatur Majakowski, Jessenin, Block oder Rosanov.
Die von Hintze genannten Autoren haben bestenfalls eine Revolte innerhalb des Literaturbetriebes versucht und sind dabei eher den Fluxuskünstlern Emmett Williams, Nam June Paik, George Brecht, Robert Filliou, Dick Higgins oder Diter Rot vergleichbar.
Wenn Ed Sanders in personals schreibt:
I want some hairy beatnik to beat the piss you of me & whip my tense body to sleep every night even though I am a wealthy publisher located in NY I am as obedient as a scared kitty please, won't some yellow fanged mongol stomp on me forever?

Wenn er das schreibt und meint, kann man sich gut Musik dazu vorstellen oder die Stimmung einer Zeit. Shakespeare: the time is out of joint. Die Zeit der Blumenkinder. Make love no war. Wenn ich von der Woodstock-Schallplatte the brotherhood of man und don't bogart their joint my friend oder Jimi Hendrix höre.
Andere waren oder sind eben noch John Perrault, Steve Richmond, Ron Padgett oder Michael Mc Clure, Jonas Mekas, Donald Barthelme, Charles Bukowski, William Burroughs, alle im Schatten von Marshal McLuhan und Timothy Leary.

Robert Sward
Träume
Alles kostet was. Die Revolution, die Träume vorstellt, die Qualität des Lichts in Aspen, Colorado, der kürzliche Besuch hier von John Wayne.


Acid von Rygulla und Brinkmann, ein Buch über die amerikanische Szene, gibt einen ausreichenden Überblick über die Autoren dieser Zeit, wobei der schönere Titel eben Revolte und Literatur wäre.

Anne Waldmann
Paris Day
Mir reichts hier, sehne mich jeden Tag nach New York zurück.
Und bewege mich in einer Stimmung wie dem Drang auszugehen, zu Hause zu bleiben etc.
Ja, es gibt mehr neue File, Leute, Strassen und Plätze
Und jeden Morgen eine Zeitung in deiner Muttersprache und auch Pillen
Doch wer ist heute tot, der wirklich bedeutend war?
Nicht George Lincoln Rockwell, dieser schreckliche Mensch, wer noch?


Im gleichen Jahr 1972 wie mein Buch: Handbuch zum ordentlichen Leben ist bei Hanser Alan Ginsbergs Indisches Tagebuch erschienen. Reiseliteratur mit dem Traum von der anderen Welt.
Gut, die Öffnung zur Musik, zu den Drogen, zu den asiatischen Religionen und Philosophien war das Neue. Keine Revolution. Eine Revolte mit Folgen.
Oder wenn Burroughs naked lunch mit dem Satz beginnt:
Ich spüre, wie mich die Bullen einkreisen, wie sie da draussen überall ihren Voodoo-Zauber abziehen und ihre verhexten Spitzel in Stellung bringen, ihre Beschwörungsformeln mauscheln über meinem Besteck, das ich in der U-Bahn-Station am Washington Square wegschmeisse, ehe ich übers Drehkreuz springe, die zwei Eisentreppen runter, und den A-Train nach Harlem erwische.

Die Revolte.
Die Revolution.
Mir fällt Giangiacomo Feltrinelli ein.
Heute würde sich Feltrinelli mit uns für eine Globalisierung einsetzen, welche die Armut überwindet, indem die Macht nicht mehr ausschliesslich den reichen Ländern dieser Welt überlassen wird, sondern die armen Länder und Völker an dieser Macht voll und ganz beteiligt, so Nadine Gordimer in der Märzausgabe der Zeitschrift Du.
Giangiacomo Feltrinelli. Ein Dichter und Verleger. Ein Revolutionär.
Die amerikanische Szene, war – wenn überhaupt – eine Bewegung, die nicht mehr hauptsächlich durch Literatur bestimmt war, sondern eine Öffnung bewirkte zur Musik, darstellenden Kunst, Film - Bilder mit Wörtern durchsetzt, Sätze arrangiert zu Bildern, Schallplattenalben aufgemacht wie Bücher. Die Szene bediente sich alle technischen Mittel und schaffte so ein Stück befreite Wirklichkeit, jenseits von Ansprüchen an Qualität, diesseits von aller Wirkung und Originalität.
Die Kontinuität dieser Revolte gegen die vorhandene Kunst zeigte sich, wenn Ed Sanders total assult in the culture proklamierte. Das meinte, dass trotz aller Unterschiede in Stilen, Ausdrucksformen, Bildern und Denk-, Hör- und Empfindungsweisen etwas Durchgehendes bestimmend war, nämlich die Erweiterung des Äusserns und Ausdrucks gegen das Denken des propagierten Fortschritts in den U.S.A.
Marshall McLuhan, meinte: We are back in acoustic space.
Der Typus Schriftsteller veränderte sich. Vielseitigkeit wurde zum Ideal. Warum irgendwo haltmachen? Warum sich beschränken? Warum sich einer vorhandenen Gattung bedienen? Warum dem Neuen gegenüber in Routinen erstarren?
What stupid fuck-ups men are! No, they are probably not so stupid by nature. By working in rigid institutions with crooked purposes even an intelligent animal must make a moron of himself, sagt Paul Goodman.

Gut. Was immer in Literatur oder Kunst an Neuem passiert, es richtet sich gegen das Alte, gegen Konventionen, Routinen und gegen alle Beschränkung von Ausdruck und Freiheit. Ob das nun eine Revolution ist oder eine ewige Baustelle des Begreifens von Wirklichkeit oder die schwelende Revolte gegen Macht und Bewahren, ist eine andere Frage.
George Maciunas schrieb 1970 ein Manifest:
Purge the world of bourgeois sickness, intellectual, professsional & commercialised culture, purge the world of dead art, imitation, artificial art, abstract art, illusionistic art, mathematical art, - purge the world of europanism!
Promote a revolutionary flood and tide in art, promote living art, anti-art, promote non art reality to be grasped by all peoples, not only critics, dilettantes and professionals. Fuse the cadres of cultural, social & political revolutionaries into united front & action
.

Revolution? Oder Revolte?


(Helmut Eisendle in: ejournal. http://ejournal.thing.at/essay/eisrevol.html  , Wien & Internet 2002)