ide hintze: warum ich für die kleinschreibung bin

warum ich für die kleinschreibung bin
("lateinschrift, bestehend aus groß- und kleinbuchstaben" wird im folgenden mit "latin mixed case" bezeichnet, "lateinschrift, bestehend aus kleinbuchstaben" mit "latin unicase")

1.  latin mixed case folgt einer vielzahl von untereinander nicht kompatiblen, insgesamt absurden regeln, die die kommunikation behindern. latin unicase erleichtert die kommunikation (a).
2.  latin mixed case entstammt einer welt, in der es nicht unüblich war, hierarchische verhältnisse auch in der schrift abzubilden (hochrangige wurden groß geschrieben, niederrangige klein). latin unicase ist neutral.
3.  latin mixed case folgt vorschriften, die sich von sprache zu sprache unterscheiden, nationalen ballast transportieren und sich widersprechen. ("ich" wird einmal groß, dann wieder klein geschrieben, substantiva werden einmal groß, dann wieder klein geschrieben; adjektiva, formelle anreden, göttliche referenzen, kalendarische begriffe, geografische bezeichnungen usw. werden einmal groß, dann wieder klein geschrieben). latin unicase ist sachlich.
4.  latin mixed case folgt vorschriften, die unnötige lernoperationen bzw. die verwendung von rechtschreibprogrammen erfordern. latin unicase ist praktisch.
5.  latin mixed case folgt vorschriften, die als mittel der selektion und disziplinierung eingesetzt werden. latin unicase ist zwanglos und leger.
6.  latin mixed case repräsentiert ein phonem durch zwei verschiedene grapheme (a = "a" oder "großes a") und verstößt damit gegen die ursprüngliche idee des alphabets (a = "a", 1 phonem = 1 graphem). latin unicase vermeidet – wie auch die ipa-schrift (b) – die doppelte darstellung von phonemen.
7.  latin mixed case entstammt der analogen welt und verlangt eine vielzahl von tastenoperationen. latin unicase entstammt der digitalen welt und ist schnell.
8.  latin mixed case kann problemlos in latin unicase verwandelt werden (markiere den text, wähle "format", selektiere "groß-/kleinschreibung", aktiviere "kleinschreibung", geh auf "okay"). die verwandlung von latin unicase in latin mixed case gelingt nur, wenn die vorschriften der jeweiligen sprache beachtet werden und der zu verwandelnde buchstabe einzeln angeklickt und verändert wird.
9.  mixed case gilt – nicht nur in den lateinschriftlichen kulturen – im bereich der email-adressenverwaltung als störfaktor. zur vermeidung von problemen wird unicase-kleinschreibung empfohlen. (zitat netiquette: "help prevent email address case confusion. to minimize the risk of delivery failures due to case differences in your email address and to make the job easy for email system administrators: use only lower case characters when you create a new email address.")
10. latin mixed case wird von gremien geregelt, die nationale traditionen fortsetzen und demokratisch nicht legitimiert sind. latin unicase ist antinational und ein zeichen für die demokratisierung von schrift (c).
11. großbuchstaben gehen nur nach oben. kleinbuchstaben gehen auch nach unten.
12. buchstaben, die nach oben und unten gehen, repräsentieren die menschliche situation besser als buchstaben, die nur nach oben gehen.
13. schrift dient der darstellung von sprache. sie gehört allen, die sie kreieren und verwenden.

(a)  andere unicase-schriften: arabisch, bengali, chinesisch, devanagari, georgisch, gujarati, gurmukhi, hangul, hebräisch, japanisch, tamil, thai, runen, indianische schriften.
(b)  ipa (international phonetic alphabet / international phonetic association): lautschrift, die u.a. in wörterbüchern zu finden ist.
(c)  gegenwärtig liegt die regelung des schriftgebrauchs in den händen einiger weniger personen, die – ohne von den schreibenden dafür bestimmt worden zu sein – darüber befinden, was "richtig" und was "falsch" ist, auch – wenn es denn sein muss – gegen die forderungen von volksabstimmungen und autorenmanifesten (siehe der volksentscheid in schleswig-holstein und die manifeste der "schule für dichtung" im zusammenhang mit der einführung der "deutschen rechtschreibreform" um die jahrtausendwende).
conclusio: die in den schriftkulturen in der regel geübte praxis, ihre mitglieder mithilfe der schrift egalitär, weltoffen und demokratisch zu organisieren, steht im widerspruch zu der tatsache, dass die schrift selbst elitär, national und undemokratisch geregelt wird.
perspektive: beobachtung und registrierung dessen, was und wie gesprochen wird als kulturelles oder – wenn es denn sein muss – nationales phänomen; entwicklung einer global verwendbaren, entnationalisierten, kulturell neutralen, sachlichen schrift, die der darstellung der sprachen dient.
erster schritt in den lateinschriftlichen kulturen: latin unicase. die allgemeine und ausschließliche verwendung von kleinbuchstaben wäre ein logischer schritt in der geschichte der lateinschrift, die ursprünglich eine, ausschließlich in großbuchstaben geschriebene unicase-schrift war, danach – mit der entwicklung und gleichzeitigen verwendung von kleinbuchstaben – in eine mixed-case-schrift transformiert wurde und schließlich – mit der eliminierung der großbuchstaben – wieder eine unicase-schrift wäre.
(d) christian ide hintze, www.ide7fold.net

wien,
am 17. september 2005 (text)
am 2. märz 2009 (uploaded)
am 29. november 2011 (neufassung)