1978: "papieranschlag" auf das wiener burgtheater

Early Conflicts. Beispiel: "Papieranschlag". Beklebung der Außenwände des Wiener Burgtheaters mit beschrifteten Transparenten, Plakaten und Zetteln, Wien 20. März 1978.
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Peter Pisa:
Gefördert, bestraft
Groteske um Wiener Jungschriftsteller Hintze


Wie das leben so spielt: Auf der einen Seite spornt ein Literaturstipendium der Stadt Wien den 24jährigen Schriftsteller Christian Ide Hintze zur Fortsetzung seiner Tätigkeit an. Andererseits hat er mit den Texten, die er meist direkt auf der Straße verteilt, immer wieder Schwierigkeiten mit den Behörden.
Während im Foyer des Burgtheaters in Glasvitrinen Theaterplakate auf ihr Publikum warteten, wollte Hintze in der Nacht auf den 20. März die eigentliche Verwendung von Plakaten demonstrieren. So klebte er mit seinen eigenen die Haupteingänge des Theaters voll.

Jetzt muß er 2400 Schilling Strafe zahlen. "Ich hab' ja nicht damit gerechnet, straflos davonzukommen", meint Hintze zum "KURIER". "Da aber sämtliche Kulturpolitiker das sogenannte künstlerisch Wertvolle schützen wollen, aber nicht genau wissen, was das eigentlich ist, versuche ich ihnen mit meiner Arbeit Vorschläge zu machen!"
Und wie aus einer Zahl von Preisen und Stipendien hervorgeht, wird diese Haltung vom Unterrichtsministerium unterstützt.

Mit dem Verteilen von Texten ist das überhaupt so eine Sache. Wie die dafür zuständige Magistratsabteilung 35 erklärt, muß jede derartige Aktion im Vorhinein beim Städtischen Ankündigungsunternehmen am Modenapark 1-2 in Wien-Landstraße vorgebracht werden. Und da man dort die Meinung vertritt, selbstverfaßte Geschichten seien wirtschaftliche Werbung, muß für eine Bewilligung auch gezahlt werden.
Genehmigungen, um auch in Kaffeehäusern, vor Schulen und Theatern verteilen zu dürfen, werden prinzipiell nicht ausgestellt. Wobei Christian Ide Hintze meint, es gäbe kein Gesetz, das dieses verbieten könnte.

Ob Hintze die Strafe zahlen oder aber eine Klage wegen Einschränkung der künstlerischen Freiheit einbringen wird, ist noch unklar.
Was ihn momentan viel mehr beschäftigt, ist die Frage, was wohl in der heutigen Zeit wichtiger ist: Das Recht auf schöpferische Freiheit oder das Verwaltungsrecht.


(Peter Pisa in: Kurier, 5. Juni 1978)

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1978 05 03
Strafverfügung


Beachten Sie bitte die Rechtsbelehrung auf der Rückseite!
Aktenzeichen 16 U 1271/78

Herr (Frau) Christian Hintze
geboren am 26.12.1953 in Wien
Staatsangehörigkeit österr.
Schriftsteller, wohnhaft in Esterhazygasse 21/21, 1060 Wien,
hat laut Anzeige BlK Innere Stadt
und nach dem Ergebnis der durchgeführten Erhebungen
am 20. 3. 1978 in Wien

dadurch, daß er 50 Plakate und vier Stofftransparente an die Haupteingänge des Burgtheaters klebte, wodurch ein Schaden von 150 Schilling entstand, eine fremde Sache in einem 5000 Schilling nicht übersteigendem Wert beschädigt

und hiedurch das Vergehen
der Sachbeschädigung
laut Paragraph 125 StGB begangen.

Über ihn wird hiefür eine Geldstrafe von 30 Tagsätzen verhängt.
Die Höhe des Tagessatzes wird mit 80 Schilling festgesetzt.
Die Geldstrafe beträgt somit insgesamt 2.400.- Schilling.
Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe wird eine Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Tagen festgesetzt.
Gemäß Paragraph 389 StPO ist er (sie) schuldig, die mit 200 Schilling bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Strafbezirksgericht Wien
1080, Hernalser Gürtel 6-12
Abt. 16
(Stempel)

am 3. 5. 1978

(Stempel mit Titel und Namen des Verantwortlichen, Unterschrift des Verantwortlichen)