1979 volksstimme on zettelalbum

christian ide hintze: zettelalbum. buch.
straßentagebuch, zetteltexte, briefe von passanten.
michael schönemann verlag. 222 seiten. isbn 3-921825-12-1. kisslegg 1978
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gerald graßl:
als einer die sprache entdeckte ...

christian ide hintze: "zettelalbum", michael-schönemann-verlag, 222 seiten, preis: 150 s.

... ging er ins volk. das geschah zu einem zeitpunkt, als die junge heimische literaturszene eine bis heute nicht enden wollende diskussion begann, wie man denn literatur wohl am besten unter die leut' bringen könnte.
währenddessen stand christian ide hintze – von seinen kollegen milde belächelt – auf der straße, ging durch beisln und verteilte kleine zettelchen mit literatur, seiner literatur. oft genug konnte man in zeitungen inserate lesen, in denen ein jungautor billige vervielfältigungsmöglichkeiten suchte. so entstanden im laufe von vier jahren 1,2 millionen literaturzettel, verteilt und plakatiert im gesamten deutschsprachigen raum.

hintzes literatur ist nicht spektakulär; sie bietet weder experimente, noch großangelegte storys hat er anzubieten. vielmehr handelt sie von "kleinen" und "kleinigkeiten", normalen gedanken normaler menschen. in vielen texten hintzes geht es vor allem um die unfähigkeit zur zwischenmenschlichen kommunikation. und er trifft mit diesen leisen, eigentlich so ganz und gar nicht revolutionären texten so genau, daß er schon bei so manchem "persönlichkeitsrevolutionen" auslösen konnte.

beweis dafür ist die flut von antwortkarten und briefen, die der autor auf seine texte erhalten hat und erhält. mehr als sich so mancher bestsellerautor wünschen kann.
wenn hintze auf der straße steht, um seine texte zu verteilen, dann macht er es auch gar nicht so sehr, um die texte anzukriegen, sondern weil er das gespräch, die diskussion mit den leuten sucht. und aus diesen gesprächen entstehen dann sofort wieder neue zettel.

reaktionen der behörden auf seine aktionen? – strafverfügungen wie etwa jene vom 20. märz 1978 in wien "dadurch, daß er 50 plakate und vier stofftransparente an die haupteingänge des burgtheaters klebte, wodurch ein schaden von 150 schilling entstand, eine fremde sache in einem 5000 schilling nicht übersteigendem wert beschädigt und hiedurch das vergehen der sachbeschädigung laut paragraph 125 stgb begangen. über ihn wird hierfür eine geldstrafe von 30 tagsätzen verhängt. die höhe des tagessatzes wird mit 80 schilling festgesetzt. die geldstrafe beträgt somit insgesamt 240 schilling. für den fall der uneinbringlichkeit der geldstrafe wird eine ersatzfreiheitsstrafe von 15 tagen festgesetzt. gemäß paragraph 389 stpo ist er schuldig, die mit 200 schilling bestimmten kosten des verfahrens zu ersetzen."

ein kleinverleger aus der bundesrepublik hat sich nun die mühe gemacht, diese zettelchen zu sammeln und als buch herauszubringen. dazwischen immer wieder dokumente über festnahmen und bestrafungen ide hintzes wegen seiner verteilaktionen und vor allem die publikumsreaktionen der leute auf hintze.
sicherlich ist die herausgabe dieses buches eine inkonsequenz hinsichtlich hintzes arbeits- und verteilermethode, aber eine notwendige, weil so doch einmal dokumentiert wird, wie einer ganz allein mit seiner sprache und literatur ein wirklich alternatives medium organisiert.


(gerald graßl in: volksstimme, 9. märz 1979)