1994 casanova performance deutsch

Eugenio Marrón Casanova:
Ide Hintze: eine Nacht für alle Zeiten.


Es war wie ein Sich-hinein-versetzen in die Zeit, als Arkadien noch fern war; damals, noch sehr lange bevor Alexander der Grosse mit seinem Schwert den Gordischen Knoten zerschnitt und damit die Invokationen herausgeforderte. Aus dem die Hinkunft umhüllenden Dunst konnte man damals nicht in die Tage Korinths und Eleusis hineinblicken, die noch von geheimnisvollen Rätseln und Kulten durchdrungen waren: der Körper des Menschen stand noch für sich und seine Bewegungen erinnerten an den zum Sternenflug ansetzenden Nachtvogel; die – teils aus Schmerz, teils aus Lust – aus der Kehle dringenden Laute an die Kräfte, die das Herz verschlingen.

Gleich einer Wiederversöhnung des Menschen mit der Natur, aber auch im Dialog des Menschlichen mit dem Göttlichen, offenbaren die Laut-Gedichte, die Ide Hintze auf seiner Reise der Herzensdanksagung nach Holguin gebracht hat, eine Bereitschaft, sehr genau im Umgang mit Details zu arbeiten und dabei zugleich die Ansprüche des Raums, des Dramas und der Rituale des Opferbringens zusammenfließen zu lassen. Zuerst werden der Boden und die Luft begrenzt, damit die Füsse und die Hände das Unsichtbare hervorrufen können; dann werden die Schattenflecken und gemurmelten Töne freigesetzt, damit das Auge und das Ohr das Göttliche vorausfühlen können.

Ide Hintze bestätigt jene Sentenz des Octavio Paz, in der er sagt: "die poetische Tätigkeit ist naturgemäss revolutionär; eine spirituelle Übung, eine Methode der inneren Befreiung". Und in der Tat: die Lautgedichte, die er kreiert, nähern sich dem Nichtrückführbaren, dem unmittelbar Belehrenden einer Erfahrung, die von innen her revolutioniert und den menschlichen Geist trainiert, ein System vorzuschlagen, das das Verborgene befreit: in einem Abenteuer der Möglichkeiten, einem Abenteuer, das – in einer permanenten Transformation – die körpereinwärts gerichteten Horizonte des Poeten auf seiner Reise zu den Vorfahren ans Licht bringt.

Das Faszinierende mag wohl manchmal auch aus dem Unglaublichen kommen. Die schwarze Nacht der Tropen im Innenhof eines Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert, in dem ein Hauch der mozarabischen Architektur noch weht, ist die Szene für einen Neubeginn: Ein deutschsprachiger Dichter, aus der geistigen Grenze Österreichs kommend, verwandelt sich in ein spielendes Kind, in einen anrufenden Schamanen, und wird dabei von einer Gruppe von Dichtern begleitet, die sich – im Schatten der spanischen Sprache – in einer Stadt der Karibik befinden, an einem zur Wahrsagerei des Wortes, der Gestik, der Zeremonie einladenden Ort.

In seinem Vorwort zur "Weissen Göttin", einer historischen Gramatik des poetischen Mythos, schreibt Robert Graves: "Wir sind gegenwärtig Zeugen eines zivilisatorischen Vorgangs, in dessen Verlauf die bedeutendsten Sinnbilder der Dichtung entehrt werden. Die Schlange, der Löwe und der Aar landen im Zirkus; der Ochse, der Lachs und das Wildschwein in der Konservenfabrik; das Rennpferd und der Windhund auf der Rennbahn; und der heilige Wald im Sägewerk": Mit den Gedichten der "Goldenen Flut" gibt Ide Hintze diesen Sinnbildern, die im Zuge der Zerstörung der Umwelt zu schwinden drohen, ihre Würde zurück, setzt sie in die heutige Rede wieder ein und fährt – mit der Begabung des Dichters für Jubel und Abenteuer – ein in eine Nacht für alle Zeiten.


Eugenio Marrón Casanova in einem Bericht über einen performativen lautpoetischen Auftritt des Wiener Lyrikers Ide Hintze am 13. Juli 1994 im Kulturhaus von Holguin, Kuba.
Übersetzung aus dem Spanischen: Werner Hörtner.

Eugenio Marrón Casanova. Kubanischer Dichter und Essayist. Wohnhaft in der Stadt Holguin, Kuba. Literaturprofessor an der Kunsthochschule. Publikationen: "Los pedidos de la lluvia" (Die Bestellung des Regens), bedacht mit dem Preis für Poesie dieser Provinz im Jahre 1987. "Navegaciones al filo del alba" (Navigationen am Tagesanbruch), mit dem Poesie-Preis der Stadt im Jahre 1988 ausgezeichnet.